Samstag, 13. Dezember 2008

Die Bilder vom 11. September: eine gescheiterte Hoffnung

Sie sehen, mir fehlen die Worte für das, was wir sehen,“ wiederholte Peter Kloeppel. Der RTL-Journalist war am 11. September 2001 für die Live-Berichterstattung über die Anschläge auf das World Trade Center zuständig. Seine Sprachlosigkeit war keine Ausnahme. Weltweit verfolgten Millionen die Geschehnisse, vorwiegend im Fernsehen. Das für viele Zuschauer erste Live-Erlebnis dieser Art schockierte - und überforderte selbst professionelle Medienvertreter. Es waren die Bilder, die sprachen. Und sie liefen wie selbstverständlich weiter, ohne Kommentar, ohne Erklärung und ohne Zensur.

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Die Explosion des zweiten Flugzeuges im Südturm

In Erinnerung geblieben sind heute einzelne Sequenzen: wie die Bilder kurz nach dem Einschlag der zweiten Maschine in den Südturm. Die beiden Twin Towers ragen, noch fest und sicher scheinend, in den strahlend blauen Morgenhimmel. Aus dem oberen Teil des Nordturms ziehen seit dem ersten Einschlag vor knapp 17 Minuten pausenlos Rauchschwaden über das New Yorker Stadtbild. Mitten im Fokus: der Aufprall des zweiten Flugzeuges. Er zündet einen übergroßen orange-roten Feuerball der sich sichtbar in mehrere Richtungen ausbreitet, gefolgt von einer dichten, pechschwarzen Wolke. Aus der Öffnung des Südturms krachen Milliarden von Kleinteile, fällt grauer Bauschutt und rieseln glitzernde Glassplitter. Der zweite Anschlag war die endgültige Bestätigung: hier handelt es sich nicht um einen schrecklichen Unfall. Die Anschläge waren von Menschenhand geschaffen und gewollt.

Die Bilder zeigen noch weit mehr. Die horizontale Stärke der beiden Türme, von einer grau-silbernen Außenwand umhüllt, scheint stählern, fest und geradezu unerschütterlich. Doch das schräg einschlagende Flugzeug bricht radikal mit dem klaren Raster der Hochhausfassade. Willkürlich breitet sich die Explosion aus, schleudert Teile umher. Der Anschlag zerstört die bisherige Ordnung und lebt sein Wesen der Unordnung aus. Wie eine unbändige Naturgewalt wirft der Feuerball alle menschliche Errungenschaften auf einen Schlag zurück. Die klare und lineare Oberfläche des Turmes ist das perfekte Produkt der Technokratie. Sie ist klinisch sauber, ohne ein Anzeichen jeglicher Natur. Sogar der hellblaue Himmel scheint von jeder Wolke gereinigt. Und nun ist es ausgerechnet ein Flugzeug - selbst ein Highlight der Technik - das einen verräterischen Anschlag auf ein „Kind der gleichen Familie“ begeht – und uns damit so verstört.

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Aufnahme vom World Trade Center Komplex nach dem Einsturz der Tower

Das Bild ist nicht nur eine Dokumentation. Es zeigt den Turm, der endlich das Erdensein des Menschen mit den Göttern im Himmel verbinden sollte und wie ein Kartenhaus in sich zusammenbricht. Mit dem 11. September bröckelt der Glaube an die Schaffenskraft des Menschen und der Technik als Heilbringer einmal mehr. Es verwundert kaum, dass die Fotografien unmittelbar nach dem Einsturz besonders an ein Gemälde erinnern: Caspar David Friedrichs „Das Eismeer“ von 1823 - auch genannt „die gescheiterte Hoffnung.“

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Verblüffende Ähnlichkeit: "Das Eismeer" des deutschen Romantikers Caspar David Friedrich, gemalt 1823/24

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